1417-2017: Wiedergewinnung materieller kirchlicher Einheit durch die Papstwahl auf dem Konzil von Konstanz (1414-1418)

Einführung Als Christen schreiten wir nicht nur durch unsere eigene Lebensgeschichte, sondern wir sind Teil der großen Weltgeschichte, die Gott durch Sein gnadenvolles Kommen in die Zeit zur Heilsgeschichte gemacht hat!
Christus erschien nicht nur vor 2000 Jahren, um uns von Sünde und Tod zu erlösen, nein, Er ist bei uns als Glieder Seiner Kirche im Heiligen Geist! Und Er beschützt und leitet diese Seine Kirche und jeden Einzelnen, der Ihm im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe nachfolgt, trotz aller menschlichen Unvollkommenheit und aller Widrigkeiten, die sich dem Kommen des Reiches Gottes hier auf Erden in der Zeit noch entgegenstellen!
Der Mensch hier auf Erden ist immer in Gefahr, einseitig auf diese Widrigkeiten zu sehen, die ihn bedrängen und der Welt als Ganzes zu schaffen machen. Ohne den Heiligen Geist ist er dieser negativen Wirklichkeit auch hilflos ausgeliefert. Ist der Mensch doch immer und überall vom Tod und von vielfältigen bösen Einflüssen umgeben, gegen die er aus eigener Kraft nicht bestehen, geschweige denn sie überwinden kann!
Christus hat diesen Vorhang des Bösen, der sich über die Welt der Sünde gelegt hat, durch Sein Leiden und Seine Auferstehung zerrissen! Wie der dunkle Wolkenhimmel nach einem schweren Unwetter sich manchmal wieder öffnet und das goldene Licht der Sonne die Erde wieder strahlend und paradiesisch schön erscheinen lassen kann, so ist auch uns in Jesus Christus wieder die wahre Sonne unseres Lebens aufgestrahlt, die alle Dunkelheit bannt und sie an dem ihr zugewiesenen vorläufigen Ort der noch vergänglichen Welt im Zaum hält. Die Dunkelheit bedroht und umfängt die Schöpfung zwar noch in der ihr zugewiesenen Grenze, aber das Böse hat Seine Allgewalt verloren, an die sich die Geschöpfe durch ihre eigene Entscheidung gegen die Liebe Gottes seit Adam und Eva versklavt hatten!
Auch in der Kirchengeschichte, die ja eigentlich die Geschichte der neuen Schöpfung ist, die mit Christus begonnen hat, treten uns mit der menschlichen Schwäche immer wieder auch „Gewitterdonner“ und scheinbar undurchdringliche Finsternisse drohend entgegen! Zugleich aber bleibt mit der Gnade, welche die Kirche und ihre Glieder durch den Glauben an Christus und die Abkehr von der Sünde geschenkt bekommen haben, das strahlende Licht der Schönheit der übernatürlichen Sonne des Heiligen Geistes im mystischen Leib Christi erhalten, die uns auch in tiefster Dunkelheit und scheinbarer Nacht die Hoffnung und das Vertrauen auf den eigentlichen Herrn der Geschichte, den Heiligen Geist, der die Kirche unüberwindbar schützt und erhält, nicht verloren gehen lässt!
So ist es nicht falsch, den Blick auch auf die Generationen der Kirche vor uns zurückzuwerfen, auch wenn wir dann immer wieder gewahr werden, dass nicht nur das Heilige und das Heil diese Geschichte prägt und durchzieht, sondern eben auch menschliche Schwäche und Unvollkommenheit, oft aber auch direkte Ablehnung der Liebe Gottes und Bosheit, die dem Wirken des Heiligen Geistes hier auf Erden immer widerstreitet!
Wir entdecken aber ständig, wie Christus dennoch oder gerade deshalb auch als Heiland der Menschen in der Geschichte wirkt und wie ein guter Arzt nicht nur der einzelnen Seelen, die sich Ihm anvertrauen, alle Wunden heilt, sondern wie Er auch um das Wohl der von Ihm gestifteten Kirche als Ganzes besorgt ist und wie Er sie in Seinem Heiligen Geiste trotz aller menschlichen Widerstände immer in der übernatürlichen Frische und Heiligkeit, damit auch in Lebendigkeit und Schönheit erhält!
Seit Christus für uns am Kreuz gestorben ist, sind auch die Wunden und die scheinbare Schwäche Seiner Kirche, der Spott und die Feindschaft der Welt, keine Makel für das Leben mehr, sondern sie sind zu Zeichen des Sieges geworden, den Christus für uns am Kreuz erworben hat! Wir wandern mit Christus durch die Zeit auf einem Weg, der nach oben führt und deshalb auch beschwerlich ist. Aber wir wandern nicht ohne Ziel und nicht allein! Wir wandern oft in scheinbarer Finsternis, aber dem wahren Licht entgegen, das plötzlich den Nebel, der uns hier auf Erden noch umgibt, durchdringen und uns selbst wie auch Seine Kirche trotz unserer jetzt noch fühlbaren Unzulänglichkeit immer mehr vollendet und heiligt!
Warum diese ausführlichen Vorüberlegungen zur Betrachtung einer konkreten kirchengeschichtlichen Fragestellung? Weil Kirchengeschichte mehr ist als bloß die Abfolge menschlicher Ereignisse. Sie ist immer auch Heilsgeschichte für den Einzelnen wie für die ganze Welt, und auch die Beschäftigung mit ihr wird nur dann fruchtbringend sein oder werden, wenn sie den Blick für das Wirken und den Willen Gottes, den Er mit Seiner Kirche vollendet, nicht aus den Augen verliert!
In der Geschichte der Kirche begegnen uns Heilige und Sünder, Gnade und Heil, aber auch Unheil, wobei Gottes Allmacht selbst noch den Widerstand des Bösen zur Vollendung des Guten benützen kann - wie beim furchtbaren Sterben Jesu am Kreuz.
Wenn wir nicht das Wirken des Heiligen Geistes in der Geschichte sehen, werden wir wohl nur bei der oft recht oberflächlichen Betrachtung der menschlichen Schwächen in der Geschichte und somit auch bei mancher Enttäuschung hängen bleiben. Doch der Glaube lässt uns tiefer blicken und der Blick auf Christus und die Nachfolge auf Seinem Weg der Liebe lässt auch den Sinn aller geschichtlichen Zulassungen und Ereignisse besser verstehen. Wir lernen, dass Schwierigkeiten nie größer sein können als die Gnade Gottes es zulässt und dass wir sie deswegen nicht durch unsere Kräfte, sondern nur durch die Liebe und die Gnade des Heiligen Geistes überwinden sollen und sie auch nur so wirklich - Heil und Heiligkeit bringend! - überwinden werden.
Wenn wir uns so vom Heiligen Geist leiten lassen und die Geschichte der Kirche wie auch unsere eigene Geschichte in diesem Sinn im Geist Gottes betrachten, dann macht uns das demütig, aber zugleich auch unverzagt, weil unser Hoffen nicht mehr auf menschliche Größe, sondern auf die Gnade Gottes gerichtet ist.
Und auch die Nöte vergangener Generationen und Jahrhunderte werden wir dann tiefer nachvollziehen und sie besser verstehen, nämlich als Kreuze und Prüfungen, durch die der Heilige Geist Seine Kirche immer wieder neu zur Umkehr und zur Heiligung ruft!
Die Probleme der Kirche damals
Vor 600 Jahren war die Kirche der Gefahr einer scheinbar unüberwindlichen Spaltung in drei oder vielleicht auch noch mehr Teile ausgesetzt, die dadurch gekennzeichnet war, dass eigentlich niemand wie bei anderen Abspaltungen früherer Zeit sich von der Einheit der Kirche trennen wollte, aber dennoch diese Einheit plötzlich nicht mehr möglich schien, weil auf einmal die Existenz mehrerer, scheinbar zugleich rechtmäßiger Oberhirten dies praktisch verhinderte.
Wie sollte und konnte eine solche Krise überwunden werden? War die Kirche nicht auf einen Oberhirten und Stellvertreter Christi angewiesen, der sie auf ihrem Weg durch die Zeit als rechtmäßiger Nachfolger Petri sicher leitet? Wenn der Nachfolger Petri ausfällt oder nicht mehr deutlich erkennbar ist, wie sollte dann die Herde zusammenbleiben und wie noch rechte Weide finden können? War sie ohne menschlichen Hirten nicht letztlich auch von der Verbindung zu ihrem übernatürlichen und eigentlichen Hirten abgeschnitten, der ja Petrus zu Seinem Stellvertreter hier auf Erden ernannt hat, damit die Schafe sich nicht zerstreuen, sondern in der Einheit des Heiligen Geistes, in Glaube, Hoffnung und Liebe, eine Herde bleiben?
Die außergewöhnliche Situation damals zwang die Kirche, ihre Hirten und Theologen, darüber nachzudenken, wie die materielle Einheit der Kirche wieder gefunden werden kann, die formell von den allermeisten ja nicht aufgegeben worden ist, da sie ja der Kirche treu bleiben wollten und nur die sichere Erkenntnis über den rechtmäßigen Hirten nicht finden konnten. Wir wissen, dass nicht jede Antwort, die damals gegeben wurde, mit dem Glauben der Kirche vereinbar war, selbst wenn sie in gutem Willen gesucht war. Es gibt sogar Aussagen, die auf dem Konzil selbst formuliert wurden, um die anstehenden Probleme zu lösen, die aber durch das Lehramt der Kirche später nicht übernommen werden konnten, weil ja der Glaube und die rechte Lehre in der Kirche nicht eigenmächtig durch menschliche Entscheidungen, auch nicht durch bloße Mehrheiten auf einem Konzil, definiert und erst recht natürlich nicht verändert werden können. Selbst eine weltweite Bischofsversammlung kann Glaubensfragen immer nur in Treue zum unveränderlichen Lehramt der rechtmäßigen Nachfolger Petri mit jener Unfehlbarkeit entscheiden, die Christus durch die Zusage an Petrus Seiner Kirche verheißen hat (Mt.16,18).
Fragen nach dem guten und rechtmäßigen Hirten stellen sich auch heute. Und auch heute gibt es die formelle und wesenhafte Einheit der Kirche nur dort, wo die Glieder der Herde Christi am überlieferten Glauben festhalten und sich nicht durch Irrlehren vom mystischen Leib Christi selbst abschneiden.
Auch in unserer Zeit erscheint die materielle oder äußere Einheit der Kirche durch eine große Verwirrung in Bezug auf die menschliche Führung der Kirche weitgehend zerrissen. Findet sich nicht auch heute die Herde menschlich der sicheren Führung im Glauben beraubt? Wo kann die Herde heute noch die Stimme Christi hören, an der allein sie Seinen wahren Stellvertreter im Hirtenamt hier auf Erden erkennen kann? Die Herde Christi kann ja nur demjenigen als menschlichem Hirten und Stellvertreter Christi nachfolgen und ihn als solchen (an)erkennen, der wirklich mit der Stimme Christi spricht: „Einem Fremden folgen sie nicht. Sie fliehen vielmehr vor ihm, weil sie die Stimme des Fremden nicht kennen“ (Joh.10,5).
So ergeben sich heute ähnliche Fragestellungen wie damals (wenn auch aus anderen Gründen), wie nämlich ein zu beklagender Ausfall oberhirtlicher Führung der Herde Christi, der immer notwendig auch materielle Spaltungen bewirkt, überwunden und wie dann damit auch die formelle Einheit der Kirche in Glauben, Führung und Gottesverehrung, welche im Heiligen Geist der Kirche geschenkt ist, wieder deutlicher sichtbar werden kann.
Mit diesen Fragen und ihrer Lösung musste sich das Konzil von Konstanz, das von 1414 bis 1418 tagte, auseinandersetzen. Wenige wissen heute überhaupt noch, dass einst auch auf Deutschem Boden ein Konzil abgehalten wurde, und es ist auch kaum mehr bekannt, mit welchen Fragen und mit welchen teils dramatischen Problemen es zu kämpfen hatte, bis es schließlich als allgemeine Kirchenversammlung, die eine fast aussichtslose Situation in der Kirche zu lösen hatte, in die Geschichte eingehen konnte.
Dieses Konzil hatte nicht nur Fragen der Führung und der Rechtmäßigkeit seiner selbst zu beantworten, es gab auch innerkirchliche Missstände, die nach Reformen riefen, und nicht zuletzt bedrohten auch Irrlehren und spalterische Tendenzen die Einheit im Glauben. Die Probleme bestanden also nicht nur auf organisatorischer Ebene.
In diesem Jahr 2017 wird gern an die Abspaltung der Protestanten von der katholischen Kirche vor 500 Jahren erinnert, wenige aber bedenken, dass fast alle „reformatorischen“ Ideen des 16. Jahrhunderts samt den damit verbundenen Angriffen auf die Kirche schon mindestens 200 Jahre vor Luther, Zwingli, Calvin usw. virulent waren und die Einheit der Kirche bedrohten.
Die Vorgeschichte des Konzils von Konstanz
Ohne Kenntnis des Jahrhunderts vor dem Konzil von Konstanz wird man wohl kaum verstehen, wie die Kirche in eine Situation kommen konnte, in der drei Päpste (oder „Päpste“) gleichzeitig eine bedeutende Anhängerschaft gewinnen konnten und die Rechtmäßigkeit eines jeden von ihnen selbst von den gelehrtesten Männern der Zeit nicht übereinstimmend entschieden wurde oder entschieden werden konnte. Jeder dieser "Päpste" schien ein gewisses Recht für sich in Anspruch nehmen zu können, andererseits ließen sich auch die Zweifel an jedem von ihnen von vielen Gläubigen nicht so leicht ausräumen.
So konnte es so weit kommen, dass selbst Heilige im Gewissen zu völlig unterschiedlichen Schlüssen kamen und unterschiedlichen Parteien anhingen. Der heilige Vinzenz Ferrer (1350 – 1419) war zum Beispiel Anhänger der „Papstlinie“ von Avignon und diente dem (Gegen)Papst Benedikt XIII. (1394 – 1423) dort sogar als Beichtvater. Katharina von Siena (1347 -1380) setzte sich hingegen für Papst Urban VI. (1378 – 1389) ein, auf den dann die römische Linie zurückging. Die Auffassung Katharinas hat die Kirche später auch übernommen, weil sie sich mit Recht darauf stützt, dass 1378 Urban VI. rechtmäßig gewählt und zunächst auch von allen Kardinälen ohne wirklichen Widerspruch anerkannt worden ist.
Ausgangspunkt für die Uneinigkeit war das Jahr 1378. In diesem Jahr war Papst Gregor XI. (1370 -1378) verstorben, der erst ein Jahr zuvor (1377), nach einer seit 1305 fast ununterbrochenen Abwesenheit der Päpste im französischen Avignon, endlich wieder nach Rom zurückgekehrt war. Die Römer gerieten deswegen bei seinem Tod in Aufregung, weil sei befürchteten, ein Nachfolger könnte eventuell wieder Rom verlassen. Sie bestürmten die Kardinäle, dass nach der langen Reihe der französischen Päpste nun endlich wieder einmal ein Italiener zum Papst gewählt werden sollte. Sie schilderten, wie während der Abwesenheit der Päpste in Avignon die Kirchen der Stadt und die Stadt selbst, dem Verfall preisgegeben worden seien, wie die französischen Rektoren das Land im Auftrag des abwesenden Papstes schlecht verwaltet hatten, wie Kriege ohne Ende Italien heimgesucht und auch große Summen verschlungen hätten, wie Nepotismus der ausländischen Päpste und Habsucht das Land schwer belastet hätten.
Das Konklave begann am 7. April 1378 im Vatikan, der von Milizen umstellt war. Merkwürdigerweise hatte schon kurz vorher ein Blitz den Saal mit den Zellen getroffen, die für die Kardinäle dort aus Vorhängen eingerichtet worden waren. Man fürchtete Unheil.
Die Kardinäle konnten sich zunächst auf keinen aus ihren eigenen Reihen einigen. In der Nacht begann das Volk zu lärmen, man stieß von unten mit Lanzen in den Boden des Konklavesaales, während man schon Brennstoffe aufhäufte und am Morgen die Glocken Sturm läuten ließ. Da wählten die Kardinäle in Eile Bartolomäus de Prignano, den Erzbischof von Bari.
Sie ließen dann unter dem Vorwand von Kirchengeschäften heimlich nach ihm schicken und wollten am Nachmittag dann die Wahl verkünden. Es kursierte aber plötzlich das Gerücht, der römische, allerdings schon altersschwache Kardinal Tibaldeschi sei gewählt. Da schrieen die Leute „Wir haben einen Römer!“, andere plünderten gleich seine Wohnung, wieder andere brachen die Türen des Konklave auf und stürmten in den Saal, um den neuen Papst zu verehren. Die Kardinäle flüchteten in eine angrenzende Kapelle. Doch auch hier wurde die Tür aufgesprengt.
So setzte man schnell den greisen Kardinal Tibaldeschi mit Mitra und Mantel auf den Papststuhl, damit das Volk ihn verehren und die Kardinäle unbeschadet die Flucht ergreifen könnten.
Der Scheinpapst aber erklärte schließlich trotz seines Alters mit lauter Stimme, dass nicht er, sondern der Erzbischof von Bari gewählt worden sei. Dieser jedoch versteckte sich wegen der Tumulte in einer Kammer. Denn als die Menge erfahren hatte, dass kein Römer der neue Papst sei, läutete man Sturm, griff zu den Waffen und zwang einige Kardinäle wieder zurück ins Konklave.
Nachdem diese aber dann mit Festigkeit die Wahl des Erzbischofs von Bari bestätigten, die man am 9. April auch den städtischen Behörden anzeigte, beruhigte sich das Volk allmählich wieder, weil dieser neue Papst ja immerhin ein Italiener war.
Die Kardinäle bestätigten schließlich alle diese Wahl, teils persönlich, teils schriftlich, und inthronisierten den Neugewählten in St. Peter im Vatikan. Er nahm den Namen Urban VI. an, feierte das Osterfest mit allen Kardinälen im Aposteldom, wurde in aller Form gekrönt und nahm daraufhin vom Lateran, der eigentlichen Papstbasilika, Besitz. Sämtliche Kardinäle machten durch Rundschreiben bekannt, dass er kanonisch gewählt und eingesetzt sei.
Doch der neue Papst versäumte es, die Kardinäle, besonders auch diejenigen, die ihn nur aus Furcht und nicht aus Sympathie gewählt hatten, in weiser Milde zu gewinnen. Er wollte berechtigte Missstände beseitigen, neigte aber dabei sehr zu Heftigkeit, auch im Umgang mit den Kardinälen, die er zur Rückkehr zur christlichen Einfachheit bewegen wollte. Das war durchaus berechtigt, lebten diese doch fast durchwegs wie so manche Fürsten in weltlichen Lastern und anstößigem Luxus. Fast jeder von ihnen hielt hundert Pferde und häufte Einkünfte aus zehn oder zwölf Bistümern, Abteien und Stiften auf. Doch viele von ihnen fühlten sich durch den neuen Papst, der ja vor seiner Wahl nicht einmal einer von ihnen gewesen war, ungerecht behandelt.
So schrieb ein Teil dieser Kardinäle an die vier italienischen Kardinäle am 20. Juli 1378, dass die Wahl Urbans VI. ungültig sei, weil sie durch Furcht erzwungen worden sei. Urban VI. erklärte sich sofort bereit, seine Wahl durch ein allgemeines Konzil prüfen zu lassen. Doch am 9. August 1378 erklärten 13 Kardinäle, sie hätten den Erzbischof von Bari nur deshalb gewählt, weil sie vom Volk mit dem Tod bedroht worden seien, und unter der Bedingung, dass er die Wahl nicht annehmen werde, was dieser dann aber doch getan hätte. Er sei deshalb nur ein Eindringling, solle die Tiara niederlegen und die Christenheit dürfe ihn nicht anerkennen.
Diese Erklärung löste eine Flut von Untersuchungen zur Rechtmäßigkeit der Wahl aus, besonders zur Frage, ob die Kardinäle nur gezwungen für Urban VI. gestimmt hätten. Rückblickend kann man wohl sagen, dass die Römer den Kardinälen zwar Todesfurcht eingeflößt hatten, dass die Wahl des Erzbischofs von Bari, Prignano, aber dennoch eine überlegte und begründete Entscheidung der Kardinäle war, die ihnen nicht von außen aufgezwungen worden war. Auch hatten sie den Gewählten ohne Zwang bestätigt, gekrönt und auch monatelang anerkannt.
Da viele, selbst die italienischen Kardinäle, aber mit der Art des neuen Papstes Probleme hatten und auch der französische König Karl V. über einen italienischen Papst nicht begeistert war, weil das den bisherigen Einfluss Frankreichs auf das Papsttum entscheidend schwächte, gewannen die Gegner Urbans VI. eine recht breite Unterstützung. Sie schritten am 20. September 1378 in Fundi zur Wahl, aus der Kardinal Robert von Genf als „Clemens VII.“ (1378 - 1394) hervorging. Nicht einmal die italienischen Kardinäle unterstützten daraufhin mehr Urban VI., wenngleich sie auch an der Neuwahl nicht teilgenommen hatten.
Seine Lage war äußerst betrüblich. Denn der Gegenpapst war diesmal nicht ein Produkt der Willkür weltlicher Herrscher wie bei so manchen früheren Gegenpäpsten, sondern ein mächtiger Teil der Kirche selbst hatte sich gegen Urban VI. gestellt, der nun in S. Maria zu Trastevere seinen Sitz nehmen musste. Von immer mehr seiner engsten Getreuen verlassen, unterstützte ihn mit Nachdruck bald nur noch die heilige Jungfrau Katharina von Siena, die ihn zu Ausdauer, Milde und Mäßigung mahnte. Der Schmerz über die Spaltung der Kirche traf sie ganz besonders, weil sie sich ja mit besonderem Eifer und Erfolg für die Rückkehr seines Vorgängers, Gregors XI., nach Rom eingesetzt hatte, und nun zusehen musste, wie die Kirche von der einen Not befreit, in die nächste Krise taumelte.
Der grobe Charakter Urbans VI. bereiteten auch ihren nunmehrigen Bemühungen, die sie aus Eifer für das Recht und die Wahrheit unternahm, große Schwierigkeiten. Katharina rief ihn deshalb besonders zur vollkommenen Liebe, ohne die er seine Aufgabe nicht erfüllen könne.
Kein einziger Kardinal war bei Urban VI. geblieben. Er musste sich eine völlig neue Kurie schaffen, ernannte 20 neue Kardinäle, exkommunizierte die Schismatiker und bedrohte diejenigen, welche Clemens VII. anerkannten, mit den gleichen Kirchenstrafen.

(Fortsetzung folgt)
Thomas Ehrenberger

 

Zurück Hoch Startseite